Der Weg zur Steuerungstechnik 5.0

2022-09-11 09:10:25 By : Ms. Sarah Zhu

Dipl.-Ing. (FH) Roland Wagner, Head of Product Marketing, Codesys GmbH, Kempten

Der Großteil der heute verwendeten Steuerungen basiert zwar auf einer Hardwareplattform, doch letztlich bestimmt bereits Software die Funktion des Prozesses. Wenn man neuerdings von virtuellen Steuerungen spricht, so ist dafür natürlich ebenfalls eine Hardware zur Ausführung erforderlich. Im Gegensatz zu den softwarebasierten Steuerungen (Steuerung 4.0) wird die Hardware jetzt aber komplett abstrahiert. Dies bedeutet, dass die ausgeführte SoftSPS gar nicht mehr wissen muss, auf welchem Gerät sie läuft.

Zuvor lohnt sich aber ein Blick auf die die Stufen 1.0 bis 4.0 der Steuerungstechnik, der hier in Teil 1 des Beitrags zu virtuellen Steuerungen gegeben wird.

Sie haben den Maschinenbau groß gemacht: Rein mechanische Steuerungen mit Kurbel-, Nocken- und Königswellen sowie umfangreichen Geschwindigkeitsbeeinflussungen durch Getriebe und Zahnräder. Angetrieben wurden diese ersten Maschinen zunächst mittels Pferdegespannen, später mit Dampfmaschinen sowie Otto- beziehungsweise Dieselmotoren. Eine klassische Anwendung, die bis vor kurzer Zeit noch weit verbreitet war, ist die Königswelle an Rollendruckmaschinen. Die schnell steigende Komplexität der Mechanik bei aufwendiger Funktion, der immense Materialaufwand sowie die physikalischen Grenzen aufgrund mechanischer Gegebenheiten sind der Grund, warum solche Steuerungen nahezu ausgestorben sind.

Mit dem Einzug der Elektrotechnik ergaben sich neue Möglichkeiten, insbesondere über elektromechanische Komponenten wie Elektromotoren, Schütze oder Relais. Sie ermöglichten das ‚ferngesteuerte‘ Schalten von Einheiten. Über Kombinationen aus pneumatischen, aerodynamischen und thermischen Zeitgliedern beziehungsweise durch Gleichstrom- und Synchronmotoren ließen sich komplexe ‚Steuerungsprogramme‘ hart verdrahten und ausführen.

Der ein oder andere wird sich vielleicht noch an defekte Waschmaschinen oder Wäschetrockner aus den 1980er Jahren erinnern – deren Steuerungen waren mit einigen Dutzend Kabeln versehen und der Austausch erforderte eine akribische Dokumentation.

Die Funktionen solcher Steuerungen waren dennoch einfach realisierbar, erforderten aber, wie in dem geschilderten Fall, eine diskrete Anbindung aller Sensoren und Aktoren – und damit einen hohen Verdrahtungsaufwand. So erfolgte etwa die Schaltung der unterschiedlichen Trockenprogramme per drehenden Elementen, die entweder über Schleif- oder Federkontakte mit den entsprechenden Einheiten verbunden wurden. Nicht zuletzt dadurch waren solche Steuerungen recht wartungsintensiv.

Der Einzug der Elektronik und insbesondere programmierbarer Prozessoren machte den Weg frei für Steuerungen, wie sie heute noch gängig sind. Dabei werden die Funktionen insbesondere für kommerzielle Anwendungen in großen Stückzahlen nach wie vor hart ins Silikon eingebrannt. Für kleinere Serien beziehungsweise sich ändernde Applikationen hinterlegt man die Funktion im Systemspeicher – früher in PROM-, EPROM- und EEPROM-, heutzutage in Flash-Bausteinen. Die freie Programmierbarkeit der Funktion in den Speicher des Systems brachte die Geburtsstunde des industriellen Gerätetyps der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS), deren Applikation in PC-basierten Programmiertools erstellt und dann auf das Gerät geladen wird. Mit dem Start der SPS wird die hinterlegte Applikation sofort ausgeführt und läuft im Regelfall über Jahrzehnte im 24/7-Betrieb.

Bereits vor mehr als 20 Jahren hielten Betriebssysteme Einzug in die Steuerungstechnik. Sie bringen viele nützliche Technologien mit sich, wie man sie unter anderem von PCs kennt. Dazu gehören Dateisystem, TCP/IP-Protokollstacks, Multitasking oder die komfortable Unterstützung von Grafikfunktionen. Per Laufzeitsystem-Software – sprich SoftSPS – lassen sich solche Systeme zur vollwertigen SPS aufrüsten.

Wurden diese Geräte für den industriellen Einsatz konzipiert, dann unterscheiden sie sich äußerlich kaum von einer ‚normalen‘ SPS. Allerdings kann der Anwender damit nicht nur eine einzige programmierte Logikfunktion abarbeiten lassen. Die Multitasking-Eigenschaften des Betriebssystems und die Leistungsfähigkeit der CPU machen diese Systeme jetzt multifunktional. Und so werden heute nicht nur Automatisierungsfunktionen wie Visualisierung und die Steuerung koordinierter Verfahrbewegungen bis hin zu CNC-Systemen und Robotern in einem Gerät ausgeführt, sondern auch ganz allgemeine Kommunikationsaufgaben.

Parallel dazu lassen sich komplett andere Aufgaben problemlos umsetzen, insbesondere wenn CPUs mit mehr als einem Prozessorkern im Einsatz sind. Aufgrund der Nachladbarkeit von Funktionen durch zusätzliche Softwaremodule bewerben Hersteller ihre Systeme mit Analogien wie ‚Smartphone für die Automatisierungstechnik‘. Hier können Anwender quasi über Apps die Funktion des Geräts selbst bestimmen. Verbindet man solche Systeme mit Internet- und Cloudplattformen, dann werden sie zu Edge-Controllern.

Damit sind wir bei Stufe 5.0 angekommen und erwähnt sei noch einmal, dass alle Steuerungen ab Stufe 3.0 letztlich durch Software definiert werden – auch wenn alle bis hin zur virtuellen Steuerung natürlich eine Hardwareplattform erfordern. Interessanterweise ist es dennoch bis heute die Hardware, die verkauft und verbaut wird.

Virtuelle Steuerungen unterscheiden sich nun von softwarebasierten Steuerungen (Steuerung 4.0) dadurch, dass die Hardware komplett abstrahiert wird. Einfacher formuliert: Die ausgeführte SoftSPS muss gar nicht mehr wissen, auf welchem Gerät sie läuft. Das können nach wie vor dedizierte Steuerungsgeräte sein, wie etwa multifunktionale Steuerungsplattformen oder Industrie-PCs – oder neuerdings auch Edge-Computing-Plattformen, die immer häufiger in Steuerungsnetzwerken von Maschinen- und Anlagenbetreibern zu finden sind. In letzter Konsequenz können diese Aufgabe zudem Cloud-Computing-Plattformen übernehmen, die in irgendeinem Rechenzentrum stehen.

Entscheidend ist die Abstraktion der Hardware durch Container oder Hypervisor. Darauf wird die SoftSPS mit Standardmitteln ‚deployed‘ beziehungsweise per Tool orchestriert – eine Installation wie bei Steuerung 4.0 entfällt. Um Applikationen feingranular als Microservices aufzuteilen, kann man bei Bedarf einfach mehrere Instanzen parallel für unterschiedliche Steuerungsaufgaben anlegen – skalierbar in Speicher- und CPU-Performance. Über virtuelle LAN-Schnittstellen lässt sich dann bequem eine Anbindung an physikalische Feldbussysteme realisieren. Das Echtzeitverhalten der Steuerung realisieren Container oder Hypervisor in den Anpassungen an das Betriebssystem.

Der Hauptvorteil einer virtuellen Steuerung gegenüber den anderen Steuerungstypen ist:

Bevor nun in Teil 2 auf die Anwendung virtueller Steuerungen eingegangen wird, lohnt abschließend noch ein Blick auf die Frage, wie die Funktion einer Steuerung festgelegt wird. Im Fall von Steuerungen 1.0 und 2.0 ganz eindeutig über die Hardware, und zwar durch Auswahl und Kombination von mechanischen oder elektrischen Komponenten. Seit Steuerung 3.0 sind es Programmiertools, zumeist nach IEC 61131-3 international normiert, mit denen die Anwendungsspezialisten die Funktion projektieren beziehungsweise programmieren.

Als von Geräteherstellern unabhängiges Tool hat sich Codesys seit Jahren etabliert. Zusätzlich zur Logikprogrammierung wurden immer mehr Automatisierungsfunktionen in die Plattform integriert, so dass sich heute komplette Automatisierungsaufgaben in einer integrierten Entwicklungsumgebung (IDE) projektieren lassen. Gleichzeitig setzen viele Anwender die kompatiblen Codesys Control SoftSPSen auf verfügbaren Standardplattformen mit MS Windows oder Linux ein und sprengen damit die traditionelle Abhängigkeit vom Gerätelieferanten. Gerade in Zeiten von Lieferschwierigkeiten ist es ein immenser Vorteil, wenn man bei Bedarf auf eine andere Hardware umsteigen kann, ohne die Steuerungsapplikation portieren zu müssen.

Damit ist die Codesys Control die gesetzte Plattform, um virtuelle Steuerungen zu realisieren. Wie diese fünfte Steuerungsgeneration in der Praxis funktioniert, wie sie sich administrieren lässt und welche konkreten Anwendungsvorteile sich daraus ergeben, ist Thema der nächsten Folge, die in elektro AUTOMATION 6/2022 im November erscheint. (co)

Weitere Informationen zum Codesys Development System

Der Autor, Dipl.-Ing. (FH) Roland Wagner, Head of Product Marketing bei der Codesys GmbH in Kempten, stellt das Thema virtuelle Steuerung auch im Rahmen des Smart Factory-Summit am 28. September 2022 vor – einer Veranstaltung der Konradin Mediengruppe zusammen mit der Deutschen Messe. Weitere Informationen finden sich hier

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